Ein Schneckenleben – Slow Design pur

Eine ganz eigene slow Design Existenzform, die mich, je länger ich sie kenne, zunehmend philosophisch anmutet. Das hier ist kein Blog über Tiere, aber der Lebensentwurf der Cepaea hortensis Bänderschnecke passt hier trotzdem rein. Ein Schneckenleben als Slow Design pur?

Slow Design Schnecke auf einem spiralförmigen Fuss einer Glasschale

(Scroll down down down for the English summary)

Aus den Eiern geschlüpft sind kleine Schnecken Miniaturen mit voller Ausstattung. Wenn man die 2mm großen Familienmitglieder mithilfe einer Lupe beobachtet (angeblich sollen Menschen auch Haustiere haben, die man ohne Lupe sehen kann), sind ihre Bewegungen auch schon ausgereift, die transparenten Körperchen samt Häuschen können, genauso wie die Erwachsenen, verwundert gucken, auf der Wand kleben, sich lang oder kurz machen, klettern und kopfüber essen. Nach und nach wird die Öffnung des Hauses in Schichtarbeit angebaut und so kommen die perfekten geometrischen Wunderbauten zustande. Inklusive dem Strichcode, der sie ein Leben lang begleitet.

Schnecke und eine blaue Glasschale - slow Design
Socke kam zu uns am 8. Februar, saß in sich gekehrt auf einem Blatt Petersilie, das zu einem auf dem Markt erstandenen Bund gehörte. Sein Häuschen zierten regelmäßige Streifen und im großen Ganzen war es eine Erscheinung so groß wie ein Cent.
Eine Bänderschnecke. Socke war ein Name, der wirklich für ihn bezeichnend war. Nur Schnecken und Socken sind in der Lage, so in sich zu gehen. Neid.

blauer Glasdeckel einer Bomboniere und eine Schnecke, slow Design

Einmal hatte Socke einen kleinen Unfall und die zarte Wand des Häuschens erlitt einen kleinen Schaden. Panik, Weltuntergang, Internet nach Hilfe durchsuchen. Kalk muss her – schrieben die Kenner, Schnecken können ihre Häuschen sanieren. Drei Eierschalen im Mörser zerstampft, zu einem feinen Pulver, das dem Tierchen ins Terrarium gegeben wurde. Wir konnten sehen, wie der durchsichtige Körper die Kalkpartikel in sich befördert, bald war die Stelle repariert und Socke munter. Die Welt war wieder in Ordnung.

blaue Schale mit Füßen und eine slow Design Bänderschnecke

Nach der Reparatur ist seine Leidenschaft fürs „Koksen“ nicht vergangen, er schnüffelte am weißen Pulver und baute weiter, bis irgendwann die richtige Größe erreicht und am Eingang ein runder Rand gebaut wurde.
Socke war ein schönes, stolzes, neugieriges und freundliches Tier. Beim Landschaftswechsel segelte er mutig über den Tisch, wenn er die Wahl hatte zu einem Salatblatt oder zu einem ausgestreckten Finger zu galoppieren, war ihm der Mensch sogar lieber. Also eher sozial- als konsumorientiert. Kopfüber auf einer Plexiglasdecke schluckte er Wassertropfen auf seinem Weg, was wie ein Computerspiel aussah, nur ohne bescheuerte Sounds. Als er über seine Glaswände segelte, quietschte sein hängendes Haus manchmal, als würde der Schneck singen. Nein, Schnecken singen nicht.
Sie sind still und ruhig, auch wenn sie leiden, und wenn das Ende kommt, ziehen sie sich einfach in ihr Haus zurück und sind dann nicht mehr. Die Schneckenseele begibt sich dann laaangsam nach oben.

Griff eines Glasdeckels und eine slow Design Bänderschnecke
Das Design vom Schneckenleben ist beinahe ideal. Voll ausgerüstet geboren sein, sein Rucksack, der Schutz bietet, das ganze Leben lang tragen, lautlos durch die Gegend gleiten, keine Güter anhäufen, in sich gehen oder für Wochen dicht machen können, sein Häuschen reparieren können, verwelkte Pflanzenteile verwerten, niemandem was antun (nein, liebe Gärtner, nicht jetzt bitte) und dann dieses Zurückziehen.
Socke war uns ein Geschenk, seine Nachfolger sind toll, aber es kann nur einen geben, also ist er hier der Held. Die irgendwann im Sommer geschossenen Fotos, als er prächtig aussah und sich mit dem Schneckendesign auseinandergesetzt hat, haben hier Premiere.

Schnecke wandert auf einer umgekehrten glasschale

ENGLISH SUMMARY: A snail’s life – pure slow design

A very special form of slow design existence: the longer I know it, the more philosophical it appears to me. This is not a blog about animals, but the design of the Cepaea hortensis snail fits in here anyway. Why?
Hatched from their eggs, snail miniatures own their full equipment. If you observe the 2mm family members under a magnifying glass (people are said to have pets, that can be seen without one), their movements are already mature, the transparent bodies with their little houses can, just like the adults, look astonished, stick to the wall, make themselves long or short, climb and eat upside down. Little by little, the opening of the house is being built up and the perfect geometrical wonder buildings grow. Including the bar code that accompanies them for a lifetime. Socke came to us on the 8th. February, sat upside down on a leaf of parsley that belonged to a bunch we purchased at the market. His little house was decorated with regular stripes and he was as big as a cent coin. Socke (sock) was a name that was really significant for him. Only snails and socks are able to go into themselves like this. Envy.
Once Socke had a small accident and the delicate wall of his house suffered a tiny damage. Panic, Armageddon, search the Internet for help. Lime must be used – the experts wrote, snails can repair their houses. Three egg shells crushed in a mortar to a fine powder, which was put in the terrarium. We could see the lime particles transported inside the transparent body, soon the spot was repaired and Socke was fine. The world was OK again. After the repair his passion for “coke” remained, he sniffed the white powder and continued building until at some point the right size was reached and a round edge was built at the entrance.
Socke was a beautiful, proud, curious and friendly animal. When we changed his landscape, he bravely sailed across the table; if he had the choice of galloping to a lettuce leaf or an outstretched finger, he preferred the human being. In other words, more social than consumption-oriented. Upside down on a plexiglass ceiling, he swallowed drops of water on his way, which looked like a computer game, without stupid sounds though. As he sailed over his glass walls, his hanging house sometimes squeaked as if the snail was singing. No, snails don’t sing. They are quiet and still, even when they suffer, and when the end comes, they just retreat into their house and vanish. The snail soul moves then sloooowly upwards.
The design of the snail life is almost ideal. To be born fully equipped, with a protecting rucksack to be carried the whole life long, to glide silently through the area, not to accumulate any goods, to go into oneself or close the door for weeks, to be able to repair one‘s house, to use withered plant parts, not to harm anyone (no, dear gardeners, not now please) and then this retreat. Socke was a gift to us, his followers are great, but there can only be one, so he’s the hero here. The photos taken sometime in the summer, when he looked great while studying the snail design, have their premiere here.

Ein Gedanke zu „Ein Schneckenleben – Slow Design pur

  1. Hi Magdi, tolle Story mit tollen Fotos von Euerm Schneckengetriebe,
    und das auch der “Rucksack” (außer German-Angst und Kindergarten)
    im Englischen Einzug gefunden hat, wußte ich (ach) noch nicht *-)
    Bitte weitermachen.
    Die bunten Opferkannen gucke ich mir dann morgen an.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.