Die unbekannte Tante

Wenn ich mich an die ersten Inspirationen erinnere, sind das verschwommene, schematische Bilder, die aber mit derselben Intensität meinen Kopf seit Jahren nicht verlassen wollen. Kann das als Inspiration gelten? Zu was? Eine Prägung, die aber nicht einen Anlass fürs Kopieren, sondern eine Sehnsucht bedeutet.

Zeichnung mit einem Tisch und Stühlen und Wandteppich

(Scroll down down down for the English summary)

Nummer eins

Eine Altbauwohnung von Menschen, die viel Zeit in der weiten Welt verbracht haben und viele exotische Gegenstände begleiteten sie auch später, als die Reisen kürzer geworden sind. Die Menschen, die immer relativ alt waren, da ich relativ jung war, lebten in ihren Räumen und erinnerten sich an Ghana, Irak, Kanada, die Namen der fremden Städte tauchten oft in Gesprächen auf. Die Stimmung dieser Räume wurde auch von dem unvergesslichen Duft der englischen Bücher geprägt, die überall standen und lagen. Nicht alles hat mir gefallen, aber ich hatte das seltene Gefühl gehabt, dass das alles zusammen stimmte und eine gewisse Einheit ergab. Damals verbrachte ich Stunden mit Blick auf einen kleinen Wandteppich aus Wolle, auf dem sich viele Welten getroffen haben, fantastische Halsketten und Schnüre aus Perlen mit Zeichen, deren Bedeutung unter der überwältigenden Ästhetik versteckt war. Aus heutiger Perspektive, nachdem ich viele andere Orte der Reisenden wahrgenommen habe, bin ich froh, dass meine erste Prägung eine respektvolle war und für mich bedeutete, das es so viel zu entdecken gibt und dass es alles miteinander harmonieren kann.
Zeichnung Glasvasen auf einem Regal, die unbekannte Tante

Nummer zwei

Nur ein Detail, das einfach und zeitlos war und deshalb kommt es immer wieder vor, dass ich seine Varianten in Interieurs von damals oder denen von heute entdecke. Ein Wohnungsflur, quadratisch, circa 4 x 4m, Holzpaneele, Schiebetüren von einer Schrankwand. Oben eine Ablage unter der Decke, auf der einige transparente Vasen aus farbigem Glas standen. Nichts war üppig oder dekoriert, die simplen einfarbigen Formen aus den Sechzigern und Siebzigern erschienen im Gegenlicht und zogen die ganze Aufmerksamkeit an sich heran. Die Präsentation der Gefäße erinnerte mich an ein Museum, und eine so konsequente und simple Lösung in dem Hausflur blieb in meiner Erinnerung als etwas, was nicht sein muss, aber kann, eine Sammlung als Highlight beim Betreten einer Wohnung.
Beides fand in den 70er Jahren statt. Beides hat mit Sammlungen zu tun, auch wenn es mir gerade jetzt beim Schreiben bewusst geworden ist. Wenn ich diese Raumsituationen skizziere, suche ich nach einem Anfang meiner Faszination mit den Räumen.

Nummer drei, viele Jahre später

Ein Freund erzählte mir von seiner Tante in London, die eine winzig kleine Wohnung hatte, in der es angeblich nicht viele Sachen gab, dafür waren sie alle vom Feinsten. Diese nie gesehene Wohnung der nie gekannten Tante ist für mich ein Maßstab geworden.
Im Laufe der Zeit, als ich bei einer Gestaltung etwas in Richtung Kitsch oder messy abgedriftet bin, sah ich diese unbekannte Frau vor mir, in der schlichten durchgestylten Londoner Wohnung, aus einer Tasse (vom Feinsten) einen Tee (… klar) trinkend, und leicht, ohne zu emotional zu werden, ihren Kopf schüttelnd.
Was bedeutet hier und jetzt Inspiration? Ich meine nicht das, was unter dem Wort am Häufigsten zu finden ist – fertige Rezepte, um einen bestimmten Look zu imitieren. Ich meine auf keinen Fall eine Nachahmung. Es ist eine Art Notizbuch im Kopf, wo sich verschiedene Situationen sammeln, mischen, kommunizieren und interagieren, um dann durch den Sieb der Persönlichkeit gefiltert zu werden, sodass etwas Neues und Echtes entstehen kann.
Es hängt nicht vom materiellen Status ab. Das „vom Feinsten“ definiert jeder für sich. Den Sieb der Persönlichkeit – hmm, viele Menschen haben noch gar nicht in der vermüllten Schublade danach gesucht, aber ich denke, es lohnt sich dort nachzuschauen.

Schmuck aus Perlen, Glasperlenketten aus aller Welt

ENGLISH SUMMARY: The unknown aunt
I recall the first inspirations as blurred, schematic images. Can they be considered inspiration at all? An imprint which does not mean an occasion for copying, but a longing.
Number one: An old apartment of people who used to travel a lot and owned many exotic objects. The atmosphere of these rooms was marked by the unforgettable scent of English books, everything resulted in a certain unity. A woolen tapestry on the wall, where many worlds met, fantastic necklaces of pearls and beads hanging on it. It meant for me that there is still so much to discover.
Number two: Just a detail that was simple and timeless. An entrance of a flat, with a shelf under the ceiling, some transparent vases of coloured glass seen against the light attracted all the attention.
Both took place in the ’70s, both have to do with collections. In my sketches I search for a beginning of my fascination with spaces.
Number three, many years later: A friend told me about his aunt in London, who had a tiny apartment where there were very few but only the finest things. This never seen flat of the never known aunt has become a benchmark for me. Now and then, when I was drifting a bit towards kitsch or messy in a design, I saw this unknown woman in front of me, in the simple, stylish London apartment, drinking (the finest) tea from a (…) cup, and shaking her head sceptically, without becoming too emotional.
What does inspiration mean here and now? I don’t mean what is most often found: ready-made recipes to imitate a certain look. I think it’s a kind of notebook in the head where different situations gather, mix and interact and then filter through the sieve of personality so that something new and real can emerge. It does not depend on the material status. Everyone defines the “finest” individually. The sieve of personality – hmm, some people probably haven’t even looked in the rubbish drawer for it yet, but it might be worth it.

2 Gedanken zu „Die unbekannte Tante

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