NEST – eine Beschleunigende Persönlichkeit

Das war ein unglaublicher Nichtzufall. In der Buchhandlung der Warschauer Uni habe ich 1997 ein Heft entdeckt, das mich wie ein Blitz getroffen hat. Natürlich unbezahlbar, aber ich habe es sofort mitgenommen und musste feststellen, dass es die erste (!) Ausgabe einer Zeitschrift war. Viel versprechend! Total stimmig, Inhalt und Gestaltung, Liebe auf den ersten Blick.

erste Ausgabe von Nest mit dem Cover von Raumgestaltung mit Bildnis von Schauspielerin Farrah Fawcett

(Scroll down down down for the English version)

Zurück in Hannover habe ich sie etwas später wieder gefunden, die weiteren vierteljährlich erscheinenden Nest Hefte waren in der internationalen Presse und Buch damals am Hauptbahnhof zu kaufen. Ich habe auch ein Abo überlegt, aber die Aufregung und das Glücksgefühl, die frische Ausgabe selbst im Regal zu finden, gleich mit allen Sinnen verschlingen und dabei die ganze Welt vergessen, war für mich als Ritual spannender.
Manche Ausgaben fehlen mir also, ich könnte sie auf Ebay erwischen, aber fürchte, dass die Freude meiner Damaligen nicht annähernd gleicht und lasse es somit sein.
Reihe der Nestmagazine Zeitschrift in Zeitschriftensammelboxen
So ging es ein paar Jahre und hörte dann plötzlich auf. Nest hat die 26. Ausgabe im Jahr 2004 als Letzte veröffentlicht.
Zuerst war ich schockiert und dann was es mir klar, dass es ein Teil vom Konzept war: Rechtzeitig aufhören, wenn es am Schönsten ist. Das können die Wenigsten, wie ein Meteorit auf dem Himmel erscheinen und verschwinden, ehe man sich an sie gewöhnt.

Bevor es zu einem Achdieschonwieder wird.
Drei Ausgaben von Nestmagazine als Flatlay Magazin Cover Umschläge
Spannung halten, nicht eine Seite zu viel veröffentlichen, sich nicht erlauben, dass es womöglich zur Gewohnheit wird und ohne Feuerwerk von Freude, gleichgültig empfangen wird.
Beispiel einer offenen Seite von Nest a quarterly of interiors aus den USA grafische Inszenierung der Fotografie
Nest war so weit wie möglich von Einrichtungsmagazinen entfernt, deren kommerzielle Zwecke meistens überwiegen.
Die Inhalte kreisten im weitesten Sinne um das Thema Nest, zeigten die seltsamsten Beispiele, die mit Raumgestaltung zu tun hatten und setzten sie genauso seltsam in Szene.
Die grafische Gestaltung der Beiträge so abgefahren wie möglich, Fotos in riskanten tapetenartigen Passepartouts gesetzt, Plastikhülle über das ganze Heft, Abweichung im Format oder plötzlich in der Mitte durch das ganze Heft gelasertes Kreuz. Oder eine CD des DJ Spooky als Beilage.
Das Ganze war jedes Mal ein Fest der Stimmigkeit.
Bereits herausgegebenen Hefte des Nestmagazines als Beispiel der Covergestaltung
Cover eines Nestmagazines beschleunigende persönlichkeit textilentwurf Andree Putman
Offene Seiten des Nestmagazins mit einem gelaserten Kreuz
EInlage in das Nest eine CD von DJ Spooky besondere Kooperation
Der Blick auf Möglichkeiten, Philosophie der eigenwilligen Gestaltung statt Platzierung der Produkte – das war einzigartig und frisch.
Nest schaffte es, den Begriff des Interior Designs so auszudehnen, zwischen verschiedenen Aspekten zu springen, dass die Frage aufkam, wieso steckt man in der „Normalität“ oft so beharrlich fest, obwohl es so viele Wohnwelten geben kann.
Sessel mit einem Nest Heft und Blumenhocker mit Teekanne und Teetasse
Unter Menschen gibt es welche, die ich für mich als Beschleunigende Persönlichkeiten (Großes B passt mir hier besser) bezeichne, die uns begegnen, oft nur für eine kurze Zeit begleiten, aber sie hinterlassen in uns eine bleibende Veränderung im Bewusstsein. Als wären wir ein Bauer auf dem Schachbrett und jemand fasst uns an dem Kopf und wir sehen uns plötzlich zwei Schritte nach vorne treten. Oder eine Tür öffnen, von der wir nicht einmal wussten, dass es sie gibt.
So war Nest damals für mich.

Kommode mit der Zeitschriftensammlung von Nest, Lampe, Gllobus und Kästchen mit Modeschmuck
NEST: A Quarterly of Interiors; New York, 1997-2004, Editor-in-chief: Joseph Holtzman.

Aktuell (2020) wurde ein Buch veröffentlicht, The Best of Nest: Celebrating the Extraordinary Interiors from Nest Magazine – von Todd Oldham, der zu dem Dunstkreis vom Nest gehörte neben Michael Cunningham, Patti Smith, Nan Goldin, and Derry Moore u.v.m.

Copyright der dargestellten Magazine bei den Autoren.

ENGLISH: NEST – an accelerating personality

It was an incredible non-coincidence. In 1997, in the bookshop at Warsaw University I discovered a magazine that struck me like a bolt of lightning. It was very expensive, of course, but I immediately picked it up and realised that it was the first (!) issue of a magazine. Very promising! Totally coherent, content and design, love at first sight.
Back in Hanover I found it again a little later, the other quarterly Nest issues were available in the international press and book store iat the main railway station. I also considered taking out a subscription, but the excitement and happiness of finding the fresh issue on the shelf myself, devouring it with all my senses and forgetting the whole world in the process, was more exciting for me as a ritual.
So I miss some issues, I could get hold of them on eBay, but I’m afraid that the joy of my old one won’t be anywhere near as great, so I rather leave it.

It went on like this for a few years and then suddenly stopped. Nest published the 26th issue in 2004 as the last one.

At first I was shocked and then I realised that it was part of the concept: stop in good time, when it’s at its best. Few people can do that, appear like a meteorite in the sky and disappear before you get used to them. Before it becomes a Heretheygoagain.
Maintaining tension, not publishing one page too many, not allowing it to become a habit and to be referred to indifferently, without fireworks of joy.
Nest was as far away as possible from interior design magazines, whose commercial purposes usually prevail.
The content centred around the nest theme in the broadest sense, showing the strangest examples of interior design and staging them just as strangely. The graphic design of the articles was as bizarre as possible, with photos set in risky wallpaper-like passe-partouts, plastic sleeve, variations in format or a cross suddenly lasered through the centre of the entire magazine. Or a CD by DJ Spooky as an insert.
The whole thing was always a celebration of coherence.
The focus on possibilities, the philosophy of unconventional design instead of product placement – that was unique and fresh.
Nest managed to expand the concept of interior design in such a way, jumping between different aspects, that the question arose as to why we are often so stubbornly stuck in „normality“, even though there can be so many living environments.
Amongst people, there are some that I call Accelerating Personalities (capital A suits me better here), who meet us, often only accompany us for a short time, but they leave a lasting change in our awareness. As if we were a pawn on a chessboard and someone grabs our head and we suddenly see ourselves taking two steps forwards. Or a door opens that we didn’t even know existed.
That’s what Nest was like for me back then.
NEST: A Quarterly of Interiors; New York, 1997-2004, Editor-in-chief: Joseph Holtzman.
Recently (2020) a book was published, The Best of Nest: Celebrating the Extraordinary Interiors from Nest Magazine – by Todd Oldham, who was part of the Nest circle alongside Michael Cunningham, Patti Smith, Nan Goldin, and Derry Moore and many more.
Copyright of the magazine images remains by the Authors.

4 Gedanken zu „NEST – eine Beschleunigende Persönlichkeit

  1. Moinsen, gerne gelesen, die kl Geschichte vom „Nest“, erinnert mich an meine Freundin C‘l, die übrigens ihr Zuhause auch immer als „Nest“ bezeichnet. Und die kleinen Dinge, die kleinen Sammlungen, die sich überall im Nest befinden. Mich macht das eher nervös..;) Ich kann nicht klein…klein… und mag auch nicht sammeln (aber das weißt du ja;)… Liebe Grüße Irene

    1. Hi Irene, danke! Ja der Titel war ziemlich provokativ, für eine Zeitschrift, die Grenzwerte von dem Begriff untersucht hat. Da war Platz für Kleinklein und Riesigriesig gleichzeitig… Grüße, auch an CL!

  2. Hallo liebe Magda, diese Sätze von Dir berühren mich:
    wieso steckt man in der „Normalität“ oft so beharrlich fest, obwohl es so viele Wohnwelten geben kann.
    UND
    Unter Menschen gibt es welche, die ich für mich als Beschleunigende Persönlichkeiten (Großes B passt mir hier besser) bezeichne, die uns begegnen, oft nur für eine kurze Zeit begleiten, aber sie hinterlassen in uns eine bleibende Veränderung im Bewusstsein!
    Schön, dass es Dich gibt Magda!

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