Was der Kuckuck wusste

Mein Verhältnis zu dieser Uhr war immer zwiespältig. Sie (Philipp Haas & Söhne, Nr. 4033) prägte eine der gemütlichsten Ecken der Wohnung meiner Eltern: Die mit einem Klubsessel, Bücherschrank und Telefon, im orangenen Licht eines Plissee Lampenschirms eingetaucht.
Mit ihren hölzernen Maßwerken, hängendem Pendel und Gewichten hatte die Uhr eine visuelle Präsenz und Potential für Bewegung und Stimme in sich. Die Letzteren waren tief in ihr verborgen, ich habe sie nie ticken gehört, die Pendelbewegung schlief schnell ein und eigentlich war das gut so, da ich nicht gerne laut tickende Uhren in Zimmern höre.

Raumecke mit Lampenschirm, Kuckucksuhr und Bücherschrank

(Scroll down down down for the English version)

Ich kann mich erinnern, dass mein Vater sich mit dem Uhrwerk auseinander gesetzt hat, erfolglos oder nicht wirklich ernsthaft, was mich gewundert hat, denn er hat sich mit Mechanismen immer gut verstanden und konnte sie meistens heilen.
Uhrwerk einer antiken Uhr was der Kuckuck wusste
Nach der Wohnungsauflösung, von der ich immer noch nicht geschrieben habe, habe ich diese Uhr pietätvoll eingewickelt bei mir in Hannover im Schrank aufbewahrt, da mein Verhältnis zu ihr immer noch zwiespältig war. Ich habe keine Ahnung, woher sie stammte, sie war eben immer da. Ich mag einfach keine Kuckucksuhren, sie sind mir zu Schwarzwald, zu urig (!) und passen nicht in meine Umgebung. Aber sie war damals das Herz dieser Ecke und ich musste sie retten. Kann das jemand verstehen?
Antike Kuckucksuhr Philip Haas und Söhne auf einem grünen Hintergrund

Ein paar Jahre lang fühlte ich mich, als würde ich sie verraten, wenn ein Gedanke die vernünftige Option vorgeschlagen hat: Du wirst sie niemals an die Wand hängen, lass sie gehen.
Nach 10 Jahren habe ich darauf gehört. Zuerst habe ich recherchiert, von Sammlern freundliche Infos bekommen und diese Auseinandersetzung mit den Tatsachen haben mir geholfen, einfach ein Gegenstand darin zu sehen. Ich habe sie dann verkaufen können und hoffe sie lebt irgendwo, liebevoll restauriert, weiter.
Teile einer Kuckucksuhr, Pendel und Gewichte
Kuckuck und seine Mechanik in der Uhr von oben gesehen
Etikett mit P. Haas und Söhne, Nr 4033 auf der Rückseite einer Kuckucksuhr
Auszug aus einem alten Katalog der Uhren der Fa Ph. Haas uns Soehne

Eine bizarre Erinnerung bleibt mir aber, die mit Potenzial zusammen hängt oder mit irgendwelchen Mächten, wer weiß. Mitte der 80er Jahre, es muss eine Winternacht gewesen sein, da meine Oma bei uns war… Mitten in der Nacht wurden wir aus dem tiefsten Schlaf herausgerissen von einem mechanischen Knistern, hölzernem Knallen und einem lauten KU-!! Der Vogel hatte keine Energie mehr für ein mit dem Rückzug verbundenen -KUCK, ist mit dieser in den dunklen Raum gebrüllten Silbe im offenem Türchen stehen geblieben. Aber er hat sich (jahrelang?) in sich so konzentriert, so angespannt, dass es klappte und uns erfolgreich einen hohen Puls mitten in der Nacht lieferte.
Als ich beim Fotografieren den Vogel betrachtet habe, muss ich sagen, da hat man nicht viel Wert auf das Äußere gelegt. Schließlich sollte sich der Kuckuck nur blitzschnell zeigen und gleich wieder verschwinden. So weiß ich nicht und werde es nie erfahren, ob die Nacht- und Nebelaktion von unserem Vogel eigentlich ein „Hört meine Stimme!“ oder vielleicht ein „Seht mich an!“ war.

Nahaufnahme Kuckuck aus der Uhr, offene Tür, Holzornamente

ENGLISH: What the Cuckoo knew

 

My relationship with this clock has always been ambivalent. It (Philipp Haas & Söhne, Nr. 4033) marked one of the cosiest corners of my parents‘ flat: the one with a club chair, bookcase and telephone, bathed in the orange light of a pleated lampshade.
With its wooden tracery, hanging pendulum and weights, the clock had a visual presence and potential for movement and voice. The latter were hidden deep within it, I never heard it tick, the pendulum movement quickly fell asleep and actually that was a good thing as I don’t like to hear loud ticking clocks in rooms. I can remember my father dealing with the clockwork, unsuccessfully or not really seriously, which surprised me, because he always got on well with mechanisms and was usually able to cure them.
After the house clearance, which I still haven’t written about, I kept this clock reverently wrapped up in my cupboard in Hanover, as my relationship with it was still ambivalent. I have no idea where it came from, it has just always been there. I just don’t like cuckoo clocks, they are too Schwarzwald, too rustic for me and don’t fit in with my environment. But it was the heart of this area back then and I had to save it. Can anyone understand that?
For a few years I felt like I was betraying it when a thought suggested the reasonable option: You’ll never hang it on the wall, let it go.
After 10 years, I listened. At first I did some research, got some friendly input from collectors, and this engagement with the facts helped me to simply see an object in it. I was then able to sell it and hope it lives on somewhere, lovingly restored.
But one bizarre memory remains with me, which is connected to potential or to some powers, who knows what. In the mid-80s, it must have been a winter’s night as my grandma was staying with us… In the middle of the night, we were woken from our deepest sleep by a mechanical crackling, wooden banging and a loud COO-!!! The bird had no energy left for a -CKOO associated with its withdrawal and remained standing in the open doorway with this one syllable shouted into the dark room. But he had been so concentrated (for years?), so tense, that it worked and successfully gave us a high pulse in the middle of the night.
When I looked at the bird while photographing it, I have to say that not much importance was attached to its appearance. After all, the cuckoo was only supposed to appear in a flash and then disappear again. So I don’t know and will never know whether the nocturnal action of our bird was actually a ‘Hear my voice!’ or perhaps a ‘Look at me!’.

2 Gedanken zu „Was der Kuckuck wusste

  1. Ja liebe Magda, unterschiedlich sind die ganz tief verborgenen manchmal unerklärbaren Empfindungen zu einem Gegenstand. Ich wünsche Dir, dass Du vielleicht jetzt nach dem Schreiben und Beschreiben dieser Gefühle endlich befreit bist von ihm, dem KU….. und nur noch KUCK sagst.

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