Wieso hast du alte Möbel?

Vor ein paar Jahren hatte ich einen Tag der offenen Türen im Atelier. Es kamen Gäste, viele die ich kannte, aber auch neue Besucher. Und einer von diesen stellte plötzlich die Frage: „Wieso hast du alte Möbel?“

Damals habe ich schnell irgendwas geantwortet. Aber manche Fragen keimen und das Bedürfnis, das Thema zu vertiefen, lässt nicht los.

Detail eines Samtsessels Welle Schnitzerei

(Scroll down down down for the English version)

Warum beschäftigt mich das nach all den Jahren? Es ist vielleicht nicht der Inhalt, sondern die versteckte Botschaft dieser Frage, dieser Blick dabei, als wäre es so erstaunlich gewesen. Ein Gesichtsausdruck, mit dem man die Frage „Wieso hast du da eine Straßenwalze in der Dusche?“ stellt.
Griff eines Nachtschränkchens zwanziger Jahre
Warum ich einige konkrete alte Möbel habe, weiß ich genau. Einige wurden mir von Freunden geschenkt. Manche habe ich auf der Straße gefunden und aufgearbeitet. Manche liebe ich einfach, weil ich sie seit der Kindheit kenne, sie sind für mich Träger der guten Energie meiner Familie. Ich bin froh, die Schranktüren zu öffnen oder an Schubladen zu ziehen, die meine Oma und meine Mutter geöffnet und ausgezogen haben. Die Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, hat meinen Blick für die nicht immer perfekte, aber individuelle Gestaltung, für die Einzigartigkeit, geübt.

Hierzu muss ich betonen, dass es hier um die Dinge geht, die gut 100 Jahre alt sind, auch wenn die Midcentury – Fifties und Sechziger Jahre auch bereits zu Antiquitäten gehören können.

Wirklich alte Möbel mit Geschichte sind selten. Erbstücke dieser Art habe ich nicht, aber eine ganz spannende Story habe ich hier gefunden, auf einem Blog meiner Freundin, die sich mit der Schönheit in einfachen Dingen beschäftigt und tut es mit einer Tiefe gemischt mit eigenem Witz.
Details von einem rosa gestrichenen Schrank mit Schlüsselloch
Detail einer alten Schublade der Kommode
Diese private, emotional geladene Nostalgie ist noch nicht die ganze Antwort, also versuche ich meine Gedanken zu ordnen, warum ich alte Möbel habe:

  • Weil sie sich mehrmals, ohne dabei einen Schaden zu erleiden, demontieren und wieder aufstellen lassen. Mit Betonung auf mehrmals…
  • Weil sie meistens aus guten und gesunden Materialien gebaut worden sind, oft von Hand oder in kleinen Werkstätten und dunsten keine Chemikalien aus. Im Gegenteil, sie duften nach alten Büchern oder hausgemachten Spirituosen…
  • Weil sie sich mit anderen Stilen sehr gut kombinieren lassen, und gerade einen Kontrast zu den als „modern“ bezeichneten Möbeln und Requisiten darstellen…

Detail einer Stuhllehne mit einem Ornament alte Möbel

  • Weil wer alte Möbel verwendet (erneuert, restauriert, repariert), also das Vorhandene verwendet, kauft an der Stelle keine neuen. Das spart Geld und setzt ein Zeichen, beim Konsumwahn nicht mitzumachen…
  • Weil wer alte Möbel verwendet, schmeißt sie nicht weg, was leider immer noch eine Option ist, obwohl man so viele Möglichkeiten hat, sie zu verschenken, im Sozialkaufhaus abzugeben, in der Nachbarschaft zu annoncieren, geschweige denn verkaufen oder tauschen. Das Geräusch der Möbel, die ein Sperrmüllwagen verschluckt und zusammenpresst, ist ein trauriges Heulen…
  • Weil die Denkweise „alt muss weg“ mich besonders traurig macht, dieses (für mich) sinnlose und respektlose Rennen dem Neuen hinterher…
  • Weil lieber alt-arm als neu-reich. Diese gewisse Note von Würde bei älteren, verstaubten „intellektuellen“ Interieurs voller Bücher, die dadurch ihre Zugehörigkeit betonen zu einer Welt der nicht unbedingt materiellen Werte, was auf mich meistens sympathisch wirkt…
  • Weil es sich mit ihnen toll experimentieren lässt, sie freuen sich auf neue Lackschichten und Ideen in Farbe wenn der Originalzustand nicht mehr angesagt ist. Und tauchen mit Würde wieder auf, wenn es sich herausstellt, dass die Umgestaltung ein Schnellschuss war…

Detail eines Schranks mit einem abgebrochenen Ornament

  • Weil sie ihre Spuren der Vergangenheit sehr natürlich tragen, genieren sich wegen paar Kratzern nicht, im Gegenteil, das ist selbstverständlich…
  • Weil sie andere Wertschätzung verkörpern, als schnelllebige Wegwerfgesellschaft – solche Möbel waren oft eine Entscheidung fürs Leben, nicht für 2-3 Jahre…
  • Weil sie oft noch Details haben, auf die heute aus ökonomischen Gründen als Erstes verzichtet wird, ähnlich wie bei alten, verschnörkelten Hausfassaden…
  • Weil sie zu dem aktuellen Leben eine Aufmerksamkeits-Referenz darstellen: Wenn ein Blick auf die 100-jährige Kommode eine Reflexion über das zeitgenössische Geschehen hervorbringen kann…

Das fällt mir jetzt ein, bitte ergänzt die Liste gerne in den Kommentaren unten.
Detail eines Bauernschranks in Mahagoni lackiertem Nadelholz
Bin ich aber grundsätzlich jemand, der sehr viel (zu viel?) in Vergangenheit steckt? Ich bin die Hüterin, das bestimmt. Aber auch nicht so orientiert, dass nur das Alte gut ist (sehr vereinfacht gesagt). Ich kann viele Attribute des „Neuen“, das ich kenne (im Bezug auf Ressourcen, Inhaltsstoffe, Produktionsprozesse usw.) nicht vertreten, also warte ich auf das neue Neu, das wirklich innovative, was sich im technologischen Sinne auf respektvolle Art und Weise entwickelt und einen wirklichen, nicht gegreenwaschten Fortschritt mit sich bringt. Und davon gibt es immer mehr.
Rundung einer Holzvitrine furnierte runde Ecke

ENGLISH: Why do you have old furniture?

A few years ago I had an open day at the studio. Guests came, many of whom I knew, but also new visitors. And one of them suddenly asked the question, “Why do you have old furniture?”
At the time I was quick to answer anything. But some questions germinate and the need to delve into the subject won’t let go.
Why does this bother me after all these years? It may not be the content, but the hidden message of that question, that expression on the face, as if it was so astonishing. A look on one’s face when one asks the question “Why do you have a road roller in the shower?”
I know exactly why I have some particular old furniture. Some was given to me by friends. Some I found on the street and refurbished. Some I love simply because I have known them since childhood, they are carriers of my family’s good energy for me. I am happy to open the cupboard doors or pull on drawers that my grandma and my mother opened and pulled out. The environment in which I grew up has trained my eye for the not always perfect but individual design, for uniqueness.
In this regard, I must emphasise that we are talking about things that are a good 100 years old, even if the Midcentury – Fifties and Sixties can also already belong to antiques.
Really old furniture with a story is rare. I don’t have any heirlooms of this kind, but I found quite an exciting story here, on my friend’s blog, who deals with the beauty in simple things and does it with a depth mixed with her very own wit.
This private, emotionally charged nostalgia is not yet the whole answer, so I’m trying to sort out my thoughts on why I have old furniture:

  • Because they can be disassembled and reassembled several times without suffering any damage. With emphasis on several times…
  • Because they have mostly been built from good and healthy materials, often by hand or in small workshops, and do not emit chemicals. On the contrary, they smell of old books or homemade spirits…
  • Because they can be combined very well with other styles, and are precisely a contrast to furniture and props that are described as “modern”…
  • Because those who use old furniture (renewed, restored, repaired), i.e. use what is already there, do not buy new in its place. This saves money and sends a signal not to join in the consumer mania…
  • Because those who use old furniture don’t throw it away, which is unfortunately still an option, although there are so many possibilities to give it away, to hand it in at a social department stores’, to advertise it in the neighbourhood, let alone sell or exchange it. The sound of furniture being swallowed up and compressed by a bulky waste truck is a sad howl…
  • Because the “old must go” mindset makes me particularly sad, this (to me) pointless and disrespectful race after the new…
  • Because I prefer old-poor to new-rich. That certain note of dignity in older, dusty “intellectual” interiors full of books, which thereby emphasise their belonging to a world of not necessarily material values, which usually has a sympathetic effect on me…
  • Because they are great to experiment with, they look forward to new coats of paint and ideas in colour when the original state is no longer in vogue. And they reappear with dignity when it turns out that the redesign was a mistake…
  • Because they bear their traces of the past very naturally, are not embarrassed about a few scratches, on the contrary, that is a matter of course…
  • Because they embody a different appreciation than the fast-moving throwaway society – such furniture was often a decision for life, not for 2-3 years…
  • Because they often still have details that are nowadays the first thing to be dispensed with for economic reasons, similar to old, ornate house facades…
  • Because they are a reference to current life: When a glance at a 100-year-old chest of drawers can produce a reflection on contemporary events…
That comes to my mind right now, please feel free to add to the list in the comments below.
Basically, though, am I someone who sticks a lot (too much?) to the past? I’m the keeper, that’s for sure. But also not so oriented that only the old is good (to put it very simplistically). I can’t argue for many attributes of the “new” I know (in terms of resources, ingredients, production processes, etc.), so I’m waiting for the new New, the truly innovative, what evolves in a technological sense in a respectful way and brings real, non-greenwashed progress. And there is more and more of that.

2 Gedanken zu „Wieso hast du alte Möbel?

  1. Ein altes Möbelstück ist eine Persönlichkeit für mich, wenn ich spüre, dass es ein Teil von mir ist, oder werden möchte.
    Dann lässt es sich auch umgestalten und behält seine Nachhaltigkeit!

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