Vor ein paar Jahren hatte ich einen Tag der offenen Türen im Atelier. Es kamen Gäste, viele die ich kannte, aber auch neue Besucher. Und einer von diesen stellte plötzlich die Frage: „Wieso hast du alte Möbel?“
Damals habe ich schnell irgendwas geantwortet. Aber manche Fragen keimen und das Bedürfnis, das Thema zu vertiefen, lässt nicht los.
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Warum beschäftigt mich das nach all den Jahren? Es ist vielleicht nicht der Inhalt, sondern die versteckte Botschaft dieser Frage, dieser Blick dabei, als wäre es so erstaunlich gewesen. Ein Gesichtsausdruck, mit dem man die Frage „Wieso hast du da eine Straßenwalze in der Dusche?“ stellt.
Warum ich einige konkrete alte Möbel habe, weiß ich genau. Einige wurden mir von Freunden geschenkt. Manche habe ich auf der Straße gefunden und aufgearbeitet. Manche liebe ich einfach, weil ich sie seit der Kindheit kenne, sie sind für mich Träger der guten Energie meiner Familie. Ich bin froh, die Schranktüren zu öffnen oder an Schubladen zu ziehen, die meine Oma und meine Mutter geöffnet und ausgezogen haben. Die Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, hat meinen Blick für die nicht immer perfekte, aber individuelle Gestaltung, für die Einzigartigkeit, geübt.
Hierzu muss ich betonen, dass es hier um die Dinge geht, die gut 100 Jahre alt sind, auch wenn die Midcentury – Fifties und Sechziger Jahre auch bereits zu Antiquitäten gehören können.
Wirklich alte Möbel mit Geschichte sind selten. Erbstücke dieser Art habe ich nicht, aber eine ganz spannende Story habe ich hier gefunden, auf einem Blog meiner Freundin, die sich mit der Schönheit in einfachen Dingen beschäftigt und tut es mit einer Tiefe gemischt mit eigenem Witz.
Diese private, emotional geladene Nostalgie ist noch nicht die ganze Antwort, also versuche ich meine Gedanken zu ordnen, warum ich alte Möbel habe:
- Weil sie sich mehrmals, ohne dabei einen Schaden zu erleiden, demontieren und wieder aufstellen lassen. Mit Betonung auf mehrmals…
- Weil sie meistens aus guten und gesunden Materialien gebaut worden sind, oft von Hand oder in kleinen Werkstätten und dunsten keine Chemikalien aus. Im Gegenteil, sie duften nach alten Büchern oder hausgemachten Spirituosen…
- Weil sie sich mit anderen Stilen sehr gut kombinieren lassen, und gerade einen Kontrast zu den als „modern“ bezeichneten Möbeln und Requisiten darstellen…
- Weil wer alte Möbel verwendet (erneuert, restauriert, repariert), also das Vorhandene verwendet, kauft an der Stelle keine neuen. Das spart Geld und setzt ein Zeichen, beim Konsumwahn nicht mitzumachen…
- Weil wer alte Möbel verwendet, schmeißt sie nicht weg, was leider immer noch eine Option ist, obwohl man so viele Möglichkeiten hat, sie zu verschenken, im Sozialkaufhaus abzugeben, in der Nachbarschaft zu annoncieren, geschweige denn verkaufen oder tauschen. Das Geräusch der Möbel, die ein Sperrmüllwagen verschluckt und zusammenpresst, ist ein trauriges Heulen…
- Weil die Denkweise „alt muss weg“ mich besonders traurig macht, dieses (für mich) sinnlose und respektlose Rennen dem Neuen hinterher…
- Weil lieber alt-arm als neu-reich. Diese gewisse Note von Würde bei älteren, verstaubten „intellektuellen“ Interieurs voller Bücher, die dadurch ihre Zugehörigkeit betonen zu einer Welt der nicht unbedingt materiellen Werte, was auf mich meistens sympathisch wirkt…
- Weil es sich mit ihnen toll experimentieren lässt, sie freuen sich auf neue Lackschichten und Ideen in Farbe wenn der Originalzustand nicht mehr angesagt ist. Und tauchen mit Würde wieder auf, wenn es sich herausstellt, dass die Umgestaltung ein Schnellschuss war…
- Weil sie ihre Spuren der Vergangenheit sehr natürlich tragen, genieren sich wegen paar Kratzern nicht, im Gegenteil, das ist selbstverständlich…
- Weil sie andere Wertschätzung verkörpern, als schnelllebige Wegwerfgesellschaft – solche Möbel waren oft eine Entscheidung fürs Leben, nicht für 2-3 Jahre…
- Weil sie oft noch Details haben, auf die heute aus ökonomischen Gründen als Erstes verzichtet wird, ähnlich wie bei alten, verschnörkelten Hausfassaden…
- Weil sie zu dem aktuellen Leben eine Aufmerksamkeits-Referenz darstellen: Wenn ein Blick auf die 100-jährige Kommode eine Reflexion über das zeitgenössische Geschehen hervorbringen kann…
Das fällt mir jetzt ein, bitte ergänzt die Liste gerne in den Kommentaren unten.
Bin ich aber grundsätzlich jemand, der sehr viel (zu viel?) in Vergangenheit steckt? Ich bin die Hüterin, das bestimmt. Aber auch nicht so orientiert, dass nur das Alte gut ist (sehr vereinfacht gesagt). Ich kann viele Attribute des „Neuen“, das ich kenne (im Bezug auf Ressourcen, Inhaltsstoffe, Produktionsprozesse usw.) nicht vertreten, also warte ich auf das neue Neu, das wirklich innovative, was sich im technologischen Sinne auf respektvolle Art und Weise entwickelt und einen wirklichen, nicht gegreenwaschten Fortschritt mit sich bringt. Und davon gibt es immer mehr.
Ein altes Möbelstück ist eine Persönlichkeit für mich, wenn ich spüre, dass es ein Teil von mir ist, oder werden möchte.
Dann lässt es sich auch umgestalten und behält seine Nachhaltigkeit!
Genau! Persönlichkeit, sehr schön, dieses Wort dafür zu verwenden! Danke Ulla