Ein Romananfang, früher: Sie kam nach Hause, hängte ihren Mantel im Flur auf, machte sich eine Tasse Kaffee und setzte sich an ihren Tisch.
Heute: Sie kam nach Hause, beim Öffnen der Tür las sie WELCOME auf ihrer Fußmatte, ging hinein, hängte ihren Mantel im Flur auf eine Hakenleiste mit LASS DICH DOCH MAL HÄNGEN auf, ging in die Küche…
(Scroll down down down for the English summary)
…wo ein HOME SWEET HOME Geschirrtuch sie begrüßte, aus der Dose DIE BOHNE – ES GEHT NICHT OHNE nahm sie einen gehäuften Löffel Kaffeepulver, machte ihren Kaffee und schenkte ihn in eine Tasse auf der IN DEM KAFF SCHON GEWESEN? stand, setzte sich an ihren Tisch und schaute sich einen Dekoartikel mit der Aufschrift SO BIN ICH WIRKLICH ICH SELBST an. Im Hintergrund lief ein Radiosender und zwischen den schlauen Sprüchen der Sanitärbranche…
Ich erspare dem Leser den Besuch der Protagonistin im Badezimmer.
Mein No-Go ist ziemlich klar, oder? Obwohl, so eindeutig ist das alles nicht.
Früher gab es auf Produkten auch Schriften und Sprüche, die finden wir heute etwas archaisch oder sogar unangemessen (bei einigen frage ich mich, wieso erst jetzt, da sie schon immer rassistisch oder sexistisch waren). Manchmal liefern sie einen Hauch der frühkaputtalistischen Zeit, als so designte Schriften den Spirit der Marke (hmm) und Aufschwung (…) wiedergegeben haben. Ein paar alte Dosen aus der Zeit hab ich ganz gerne im Regal stehen. Ihre Werbe-Art ist eine Sache für sich, zu komplex um es jetzt auseinanderzunehmen und nicht wirklich das Thema.
T-shirts haben unter den spruchreichen Objekten einen völlig anderen Stellenwert, das ist ein Konglomerat aus Musik, Politik, Protest, Manifest, generation- und länderspezifisch, als Aussage, die Menschen auf ihrem Körper tragen und noch vieles mehr, Stoff (buchstäblich) für mehrere Doktorarbeiten, die es bestimmt auch bereits gibt. Naja, Werbung ist da auch vertreten, eigentlich sollten Leute, die für Sportmarken usw. als Litfaßsäulen arbeiten, etwas dafür kriegen, oder?
In altmodischen Küchen und Heimatmuseen findet man bestickte Tücher, die einen Spruch in geduldiger Kreuzstichtechnik darstellen, dessen Botschaft sich meistens um die Tugenden des Alltags dreht. Diese Tücher, reine Frauenarbeit, Tradition, dienten als interne Erinnerung und vielleicht als eine Art Visitenkarte, nach dem Motto „hier in unserer Küche wird fleißig und ehrlich gearbeitet“.
Fachwerkhäuser tragen ihr Segen auf dem Torbalken, die Schriften sind von den Fassaden nicht weg zu denken, in dem Eichenholz eingemeißelt und mit Farbe betont. Das fühlt sich nicht fremd an, im Gegenteil, es gehört dazu und wird pietätvoll restauriert. Das habe ich sogar auch schon gemacht, auf der Fassade eines guten alten Hauses von einem guten alten Freund.
Motto an der Wand – in den modernen Trends ist eine Erscheinung namens Wandtattoo vor einigen Jahren aufgetaucht, ein Ornament oft mit Spruch aus Klebefolie. In Cafés beobachtet, eroberten die Wandtattoos private Wände, ich glaube auch dass sie neben Profi-Kaffeeautomaten zu einer Tendenz gehören, Ambiente aus einem Café in die private Küche zu implantieren (Vorsicht, hier rutsche ich glatt in mein anderes No-go rein). Eine besondere Art davon scheinen die Auszüge aus Wörterbüchern zu sein, und zwar die echten neben den humoristischen, die die Optik der Lexika übernehmen.
Diese Text-Erscheinungen im Alltag, die ich bisher erwähnt habe, bilden natürlich keine Liste mit einem Anspruch auf Vollständigkeit, eher sind es chaotische Sprünge eines Schachpferdes auf dem Schachbrett der beschrifteten Tatsachen. Ich versuche es mit mir selbst zu klären, wieso ich einige von denen akzeptiere oder sogar mag, während mir die Anderen völlig auf den Keks gehen.
Was mich als No-go interessiert ist die heutige Welle der Sprüche auf den Alltagsgegenständen, als Einrichtungstrend, diese Ambivalenz – mich schrecken sie ab, OK, aber es scheint irgendein Bedürfnis dahinter zu stehen.
Den alten Dingen nostalgisch nachzueifern? Denn meistens ist die Erscheinung auch mit einer Retro – Schriftart verbunden, oft quasi handgeschrieben (Sehnsucht 1), oder auf die Lollipop – pastellfarbene swinging Fifties hindeutend (Sehnsucht 2). Das sind aber Äußerlichkeiten, Inhalte wie home sweet home versuchen uns die heile Welt vorzudichten (Sehnsucht 3).
Ist das ein Versuch, die Welt mit ihren Problemen mittels dieser naiven Maßnahmen von sich fern zu halten? Mit den rosafarbenen Buchstaben an die Kindheit zu erinnern? Oder wird es wirklich als positive Affirmation verstanden, die, nebenbei betrachtet, doch eine Kodierung der grauen Zellen verursacht?
Mehr oder weniger einfallsreiche Kaffeebecher in Büros sind bekanntlich ein Universum der angeblich witzigen Sprüche.
Aber jetzt wird scheinbar im Pop-Sektor nur das produziert, was eine gedruckte Belanglosigkeit auf sich trägt.
So was kommt mir nicht ins Haus, aber ich muss manchmal raus…
Mein Problem ist, dass wenn etwas geschrieben ist, lese ich es, leider. Im Vorbeigehen in der Stadt erreichen einen hunderte von Texten, die zwar nicht bewusst gelesen, aber wahrgenommen werden. Mediales Rauschen verfolgt uns.
Ein Klassiker von Police – Too much information!
Die Lebensweisheiten auf dem Geschirrtuch lassen Menschen selbst in ihren Küchen nicht in Ruhe. Auch wenn sie theoretisch für die positive Programmierung da sind. Ich frage mich, wie verbittert schaut man sich so eine home sweet home Geschichte an, wenn gerade eine Scheidung über dem Küchentisch schwebt.