Traditionell wird der Jahresanfang von verstärkten Aktivitäten gezeichnet, die sich mit der Zukunft beschäftigen. Die ja gerade beginnt. Vor allem, wenn ein neues Jahr nach einem so besonderen folgt, wie das jetzt der Fall ist. In allen Bereichen, privat bis global, wird versucht, das einzufangen und zu bändigen, was vor uns liegt.
Das Leben im Hier und Jetzt, was zwangsläufig der Fall ist, scheint ohne diese Zukunftsvisionen nicht ganz erfüllt zu sein.
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Etwas Vergangenheit, nur für’s Gleichgewicht: Als ich 1990 ein ¾ Jahr in Schottland studieren durfte, hatte ich unter vielen anderen die Kassetten (ja!) von Talking Heads im Rucksack, die ich leidenschaftlich auf meinem roten Sony Walkman gehört habe. Doch erst dort hat mir ein Freund aus dem College eine Rarität vorgestellt – die Platte von David Byrne, “Music for the knee plays” von 1985. Die Texte der Stücke, mit einmaliger Bläsermusik verflochten, haben meinen Blick auf die Welt geprägt, und sie haben bis heute einen besonderen Platz in meinen grauen Zellen. Ein Stück aus der LP, “In the Future”, ist eine Aufzählung der Zukunftsszenarien. Varianten. Muster. Möglichkeiten. Optionen. David Byrne ist kein Nostradamus, der möglichst verwickelte und symbolschwangere Centurien erschafft, um später sagen zu können “hab ich doch gesagt”. Byrnes Art, Sachen direkt zu benennen, nüchtern gegensätzliche Prognosen in diesem Stück zu vereinbaren, offenbart den Irrsinn der Welt.
Das Video ist hier zu sehen. Ich kann aber die ganze Platte empfehlen!
Horoskope… Eine andere Form, die beim Jahreswechsel erblüht, natürlich auch ein Versuch, in die Zukunft einzubrechen. Aber es geht auch anders, wie zum Beispiel hier (wer das noch nicht gesehen hat, denn erfunden habe ich das bereits im letzten Jahr). Jetzt musste ich feststellen, dass es Unsinn ist, das nur für ein Jahr drin zu haben, dafür ist mein Design Horoskop viel zu zeitlos.
Hier und jetzt. Der erste Tag des neuen Jahres ist sonnig, kalt, katerfrei, die Nacht konnte dank der wenigen Böllern sogar durchschlafen werden. Alles, was von einem inneren Antrieb kommt, darf passieren. Auf die äußeren Lockerungen, die zum Beispiel ein Museumsbesuch ermöglichen, werden wir noch warten. Aber vor dem Museum spazieren, das geht. Unterwegs gehen wir an einem Spielplatz vorbei, mit einem Ohrenwinkel höre ich, wie ein Kind “Ich bin Hotspot!” schreit.
Der Körper hat gelernt, viel zu schlafen, ich will ihn dabei nicht hindern, auch wenn ich das Morgenlicht öfter sehen und die Energie des Morgens umsetzen will.
Derselbe Körper zuckt, wenn in einem Film Leute eng in der Menge in einem nebligen Club zusammen tanzen oder sich umarmen.
Ich habe nicht das Gefühl, von meinen Freunden separiert zu sein. Keine Freiheit wurde mir genommen. Ich habe viel und wenig im letzten Jahr geschafft, je nachdem, wie man das banale Glas sehen will, aber ich habe es nicht vor, irgendwelche Bilanzen zu ziehen. Reisen war nicht, also wurden Ordner mit Fotos von früheren Reisen anders betrachtet. Paradoxerweise hat die nach innen gekehrte Existenz ihre Antennen nach außen entfaltet, viele Versuche gestartet, Mechanismen zu verstehen, schon wieder die Muster.
Mittlerweile sind seltsame Rituale auf der Straße eingeübt. Der erste Mensch, der mir als Gegenverkehr auf einem breiten Bürgersteig im letzten März begegnete und das Bedürfnis hatte, aus diesem Anlass mit seinem Körper an der Hauswand wie ein Poster kleben zu bleiben, hatte mich damals noch beeindruckt.
Fetzen der Gespräche bleiben manchmal im Ohr: Mütter, die Sorgen haben, dass die Kinder nicht genug Mimik sehen können, dass sich ihre Wahrnehmung mit dem Ausdruck menschlicher Emotionen schwer tun wird, wenn sie nur halbe Gesichter zu Gesicht bekommen.
Mosaiksteine, Muster, Varianten. Auch in den Bildern, meine Experimente mit dem Prägedruck, stark geätzte Aquaforta, Versuche mit und ohne Farbe – die finde ich heute passend. Frohes neues Jahr.
Beeindruckend, hat in mancher Hinsicht nachdenklich gemacht, z.B. inbezug auf Maske tragen:
“ Sorge der Mütter, dass Kinder zu wenig Mimik wahrnehmen können ……. „, m.E. berechtigte
Sorge, empfinde ich als Erwachsener auch so, kann im Gespräch oft
nicht erkennen, ob mein Gesprächspartner interessiert oder gelangweilt
ist, denke daher, dass gerade für Kinder die Mimik wichtig ist; denn nicht nur Worte, auch
ein Gesichtsausdruck ist hilfreich für gegenseitiges Verständigen/Verständnis.
Und jetzt werde ich mich David Byrne zuwenden, mir leider nicht bekannt, freue mich auf
die Entdeckung – danke!
Danke, Liebe Gerda,
ja bei David Byrne kann man viele Welten entdecken! Ich freue mich immer über Deine Anmerkungen.