Beim Umzug habe ich viele davon aussortiert. Wenn eine Tasse oder an ein Glas einen Riss oder einen Schaden am Rand hatte, war das ein Grund, sich von ihnen zu verabschieden. Manchmal gibt es aber auch Sachen, die – solange die Risse noch zusammenhalten – weiterhin gebraucht werden und wahrscheinlich werden diejenigen alles andere überleben.
Es ist eine dünne Linie zwischen dem, was wir für brauchbar halten und dem, was wir als kaputt bezeichnen.
(Scroll down down down for the English summary)
Eine keramische Waschschüssel, die mehr als 100 Jahre alt ist, darf kleine Gebrauchsspuren haben. Ein Krug gehörte bestimmt auch dazu, typische Ausstattung aus der Zeit, als fließendes Wasser keine Selbstverständlichkeit war. Schablonenmotive an der Oberfläche, die mich seit der Kindheit fasziniert haben (eine der möglichen Quellen meiner Faszination für Muster?), als ich bei meinen Großeltern die Schüssel tatsächlich manchmal benutzt habe, um mich zu waschen. Denn da gab es nur kaltes Wasser und warmes musste gekocht werden… Naja, damals passte ich fast hinein, lange her. Umso schöner finde ich es, dass diese Schüssel jetzt „pensioniert“ bei uns in der Küche steht und das frisch auf dem Markt gekauftes Gemüse umarmt. Die vielen angeschlagenen Stellen trägt sie mit Stolz, es wäre doch völlig undenkbar, unbeschädigt ein Jahrhundert hinter sich zu bringen.
Aus meinem Elternhaus habe ich versucht, nur die heilen Gegenstände mitzunehmen. Einen kurzen Moment überlegte ich bei dem alten keramischen Übertopf, der immer schon einen Chip am Rand hatte. Aber genau dieser Topf verdiente noch nicht sein Ende, so steht er jetzt auf der Fensterbank. Am Anfang bemühte ich mich noch, die beschädigte Stelle nach hinten zu drehen… Jetzt nicht mehr. Wozu die heile Welt vortäuschen?
Ein geklebter Deckel einer Butterdose. Na und?
Aus einer angeschlagenen Tasse zu trinken ist unangenehm. Eine Tasse mit Chips am Rand kann trotzdem im Atelier als Wasserbehälter dienen. Das ist mir ich lieber als einen Marmeladenglas zu verwenden – übrigens die werden für Konfitüren und andere Erzeugnisse gesammelt.
Eine alte französische Terrine habe ich leider selbst beschädigt, es passierte einfach, plonk! Und die kaputte Stelle am Rand arbeitete weiter im porösen Material, irgendwann zeigte sich ein Riss bis zum Boden, der die Nutzung eingeschränkt hat. Jetzt wohnen Packungen mit trockenen Hülsenfrüchte darin in der Speisekammer und keine selbstgemachten Salz-Dill-Gurken. Wenn die Stelle weiter platzen sollte, werde ich sie kleben.
Die Emaille auf einem Becherhenkel bekommt bei einem Unfall einen Abplatzer. Im Inneren des Bechers wäre das ein Problem, der Henkel geht.
Das wird sogar bei auf Vintage getrimmten Bechern nachgemacht, was ich wiederum für ein No-Go halte, darüber irgendwann mehr.
Für mich spiegelt die Einstellung zu Gegenständen die allgemeine Position im Leben, auch die Einstellung zu sich selbst und anderen Menschen und Lebewesen wider.
Ich habe meine Risse und Abplatzer. Ich kenne ein gebrochenes Herz und Falten.
Sich von kaputten Gegenständen zu trennen ist eine der Regeln der harmonischen Lebensraumgestaltung Feng Shui. So soll sich ein Anblick von beschädigten Sachen schlimm auf unser Wohlbefinden auswirken, unsere Zerbrechlichkeit betonen. Ich habe aber eine Welt, die mich an meine Zerbrechlichkeit erinnert, viel lieber als eine perfekte, makellose Fassade. Für mich hat das etwas von einem Museum, wo eine antike Skulptur durchaus ohne Nase stolz stehen kann.
Natürlich, sich von Sachen zu trennen soll die Übung sein im sinnvollen Ausmisten, in der Dankbarkeit für gemeinsam verbrachte Zeit, da nichts von Dauer ist. Ich versuche zu reflektieren, wann das für mich gilt.
Eine japanische Methode, Kintsugi, betont die Beschädigungen durch goldene Fugen, die aus einem Riss eine edle und gerade für Aufmerksamkeit sorgende glänzende Linie macht, dadurch wird die Energie der Zerstörung in eine positive Lösung umgewandelt. Viele Techniken aus dem Fernen Osten beschäftigen sich traditionell mit der Wertschätzung der Gegenstände und Stoffe. Ich finde diese in der Philosophie des Ostens verankerten Methoden sehr wichtig, bald werde ich ihnen einen gesonderten Beitrag widmen.
Es gibt viele Arten der Beschädigungen. Die, die ich bisher erwähnte, passierten durch kleine Ungeschicklichkeiten im Alltag.
In meiner Familie gab es zwei kleine Landschaftsbilder von keinem großen künstlerischen Wert, die jeweils im Bereich des Himmels ein Loch hatten. Das waren Bajonettspuren, Einstiche aus der Zeit, als alles, was von den Befreiern nicht mitgenommen wurde, zerstört werden sollte. Ich hatte diese Landschaften nur mit ihren Löchern gekannt, ihre symbolischen Wunden gehörten zu ihrer Geschichte dazu. Letztes Jahr habe ich mich entschieden, diese zu restaurieren, zu heilen. Um die Spuren der stumpfen Gewalt zu beseitigen, deren Zeugen sie waren.
ENGLISH SUMMARY: Traces of a life lived or broken after all?
I sorted out a lot of them when I moved. If a cup or a glass had a crack or damage on the edge, that was a reason to say goodbye to them. But sometimes there are things that – as long as the cracks are still holding together – will continue to be used and probably those will outlive everything else.
There is a thin line between what we consider usable and what we call broken.
A ceramic wash bowl that is more than 100 years old is allowed to have some signs of use. A jug certainly belonged to it once as well, typical equipment from the time when running water was not a matter of course. Stencilled motifs on the surface that have fascinated me since childhood (one of the possible sources of my fascination with patterns?), when I actually used the bowl sometimes at my grandparents‘ house to wash myself. Because there was only cold water and hot had to be boiled… Well, I almost fit in it then, a long time ago. So I find it all the nicer that this bowl is now „retired“ in our kitchen, hugging the vegetables freshly bought at the market. It wears the many chipped spots with pride, it would be completely unthinkable to get through a century undamaged.
From my parents‘ house, I tried to take only the intact items with me. For a brief moment I pondered over the old ceramic cachepot, which always had a chip on the rim. But this very pot did not yet deserve its end, so now it stands on the windowsill. In the beginning I tried to turn the damaged part backwards… Not any more. What’s the point in pretending the world is intact?
A glued lid of a butter dish. So what?
Drinking from a chipped cup is unpleasant. A cup with chips on the rim can still serve as a water dish in the studio. I prefer that to using a jam jar – by the way, they are being collected for jams and other products.
Unfortunately I damaged an old French tureen myself, it just happened, plonk! And the broken part at the rim kept working in the porous material, at some point a crack showed all the way to the bottom, limiting its use. Now there are packs of dry pulses living in it in the pantry and no homemade salt and dill pickles. If the place continues to crack, I will glue it.
The enamel on a mug handle gets chipped in an accident. Inside the mug that would be a problem, the handle is fine.
This is even replicated on mugs trimmed to look vintage, which again I think is a no-go, more about that sometime.
For me, the attitude towards objects reflects the general position in life, also the attitude towards oneself and other people and living beings.
I have my cracks and chips. I know a broken heart and wrinkles.
Parting with broken objects is one of the rules of harmonious living space according to Feng Shui. The sight of damaged things is said to have a bad effect on our well-being, to emphasise our fragility. But I much prefer a world that reminds me of my fragility than a perfect, immaculate façade. For me, it has something of a museum feel, where an antique sculpture may well stand proudly without a nose.
Of course, parting with things is supposed to be the exercise in meaningful clearing out, in gratitude for time spent together, because nothing is permanent. I try to reflect when this is true for me.
A Japanese method, Kintsugi, emphasises damage through golden joints, turning a crack into a noble and explicit attention-grabbing shining line, thus transforming the energy of destruction into a positive solution. Many techniques from the Far East are traditionally concerned with the value of objects and fabrics. I find these methods, anchored in the philosophy of the East, very important; soon I will dedicate a separate post to them.
There are many types of damage. The ones I have mentioned so far happened through small clumsiness in everyday life.
In my family there were two small landscape paintings of no great artistic value, each of which had a hole in the area of the sky. These were bayonet marks, punctures from the time when everything that was not taken by the liberators was to be destroyed. I had only known these landscapes with their holes, their symbolic wounds were part of their history. Last year I decided to restore them, to heal them. To remove the traces of the blunt violence they had witnessed.
I have my cracks and chips. I know a broken heart and wrinkles.
Of course, parting with things is supposed to be the exercise in meaningful clearing out, in gratitude for time spent together, because nothing is permanent. I try to reflect when this is true for me.
Dein Artikel war wieder einmal wunderschön zu lesen – und so lebensnah;
ich habe einiges nicht nur auf Gegenstände bezogen.
Ich denke, dass ein jeder mit sich kämpft, wenn es darum geht: Entsorgen
oder behalten? Oft sind die Macken richtig groß, dennoch mag man sich von
Dingen, die mit einem „lebten“, nicht trennen. Und besonders eindringlich fand
ich den Fragesatz: Warum die heile Welt vortäuschen? Warum auch – hat man
einfach nicht nötig.
Alles Liebe, Gerda
Danke, Gerda! Ja, wie immer sind die Gegenstände nur Darsteller und der größere Kontext lauert dahinter… Liebe Grüße!
Schöner Artikel, willkommener Impuls, danke!
Danke!