Meine Antennen haben in der letzten Zeit oft Gesprächsfetzen, Blogposts oder Kommentare mitbekommen, die sich um das Trennen, Aussortieren, Ausmisten oder Zeug drehen. Anscheinend ist die Pandemie für viele Menschen ein Auslöser zu Veränderungen in ihren vier und mehr Wänden. Der Geist von Marie Kondo schwebt ordentlich und lautlos darüber.
Ist Minimalismus also auf dem Durchmarsch?
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Wenn man das ganz genau betrachtet, ist jeder Fall natürlich eine Geschichte für sich.
Die Beweggründe, sich von Sachen zu trennen, sind beispielsweise bei einer Person, die in ihrem Leben Turbulenzen überstanden hat, verständlich. Genauso ist der Wunsch, sich mit manchen Gegenständen nicht mehr zu umgeben, die schlechte Energie der Krankheit oder Trennung in sich tragen, nachvollziehbar. Das Thema ist sehr persönlich und auch jeder realisiert diese Aufgabe nach eigenen Bedürfnissen, sei es Schritt für Schritt oder mit einer radikalen Aktion.
Oft wird aber in anderen Lebenslagen ausgemistet: Um mehr Luft für den freien Kopf (shape of the air!) zu haben. In dem Überfluss, um für neue Konsumgüter Platz zu schaffen. Weil das alte Mobiliar einfach nicht mehr geht. Tapetenwechsel. Mode. Pflegeleichtigkeit.
Wie es meine private Statistik sagt, diesen Ausmistungsdrang verspüren in 90% die Frauen. Vielleicht reden sie einfach mehr darüber, und die Männer machen es, wenn es sein muss?
Was auf jeden Fall eine Rolle spielt, ist wie eine solche Aktion umgesetzt wird.
Wenn das Ausmisten per se ein Bedürfnis darstellt, in Ordnung. Gerade jetzt ist es aber wichtig, das Ganze auf dem Schirm zu behalten. Ein akuter Schranküberfall hat mehrere Säcke Kleidung als Folge. Was passiert damit weiter? In den Gesprächsfetzen höre ich „Hauptsache Weg!“, das macht mir Sorgen. Die Container sind voll, das System überlastet, internationale Verbindungen der Verwertungskette oft zusammengebrochen. Unter Lockdownbedingungen können gute Sachen nicht so leicht an die Secondhandläden oder an soziale Einrichtungen abgegeben werden, es droht also kurzsichtige Wegschmeißerei. Das betrifft natürlich nicht nur Klamotten.
Woher kommt diese Sehnsucht eigentlich?
Wie ich finde, hat die ästhetische Tendenz in zwei Himmelsrichtungen ihren Ursprung. Der Osten steht für die japanischen, mit rudimentären Gegenständen ausgestatteten Räume, so ausgewogen, dass die Geometrie der Papierwände einen perfekten Hintergrund für die kunstvolle Ikebana bildet. Diese Formulierung ist gezielt platt, denn ich suche nach dem ersten, intuitiven Bild im Kopf. Ich war leider noch nie dort, habe diese klischeehafte Vorstellung als Projektion vieler Eindrücke, Summe vieler Folien, es ist natürlich nur eines von vielen Gesichtern des Ostens, dessen Spiritualität diese Lebensweise geprägt hat. Auch die Bescheidenheit, Genügsamkeit und Respekt als Tugenden. Der dort verankerte Umgang mit Materialien und Formen faszinierte den Westen schon immer.
Eine andere, etwas nähere aber genauso faszinierende Idealvorstellung liefert der Norden, der skandinavische Traum. Der Umgang mit hellen, in der neutralen Palette gehaltenen Farben, um so viel Licht wie möglich in den Räumen einzufangen. Holz, viel Holz und wieder die einfache, auf das Wesentliche reduzierte Ästhetik, die aber anderes Wohlbefinden mit sich bringt, denn es darf auch kuschelig sein, in hygge umhüllt bietet diese Lebensweise ihre eigene Spiritualität, Entschleunigung und Ruhe.
Das sind Idealvorstellungen, die viele Gemeinsamkeiten haben. In beiden ist kein Platz für „Zeug“. Beide suchen in einfachen Dingen die Balance für hektische, belastende Lebensweisen. Faszination und Sehnsucht nach diesen Mustern können dazu führen, diese Werte als Lösung für eigene Probleme zu suchen.
Ein Rezept für die ideale Umgebung gibt es nicht, für mich als Beobachterin ist die wichtigste Frage nach Stimmigkeit, Authentizität. Die Begriffe aus dem Norden und aus dem fernen Osten, die als Musthaves auftauchen, als Verkaufsargument und nicht als Vertiefung geistiger Kapazitäten, klingen wie falsche Töne und verschwinden in der Masse der Slogans.
Minimalismus ist eine fantastische Methode, die Weichen umzustellen, für sich selbst, für die Gesellschaft und die Umwelt. Das geschieht nicht von heute auf morgen und nicht ohne einen tiefen Impuls aus dem Inneren.
Wenn die Impulse nur von außen kommen, können wir uns mit solchen Beispielen anfreunden und sie für uns überlegen – so wie ich immer neugierig in die Tordurchfahrten reinschaue, um die fremden Höfe zu sehen und mir vorzustellen, dort zu leben. Aber es kommt immer die Frage: Es ist toll, aber ist das meins?
Great blog! And your final observation rings true in my case (and I suspect in most cases)…I long to have less stuff but actually my stuff is me! Those prints are wonderful. I’d love to buy the red chair one or the green and orange one if you have either.
Glad you feel this way too. I am quite a minimalist (in actions) having quite a lot of stuff and I think it can work together well. There are some texts in my head on this, I couldn’t pack it all into this one so they will come within the next weeks. For the prints – yes I have some of each, I can email you so you can choose the right one. Thank you!